1945 Inhalt

1. Gedicht S 01
2. Zur Vorgeschichte S 02
3.Die letzten Wochen des 3. Reiches S 03
3.1. Durchhalteparolen in der Heimatzeitung S 04
3.2.Auszüge aus „Kleine Pößnecker Nachrichten“ S.05
3.3.Was tut sich in unseren Gemeinden Anfang 1945 ? S.09
4. Unter amerikanischer Besatzungsmacht S.16
5. In der sowjetischen Besatzungszone S.24
6. Rückblende und Ausblick S.41

Die Redaktion dankt, auch im Namen der Leser, allen Sponsoren, die durch
ihre finanzielle Unterstützung erst die Herausgabe einer solchen 
Heimatzeitschrift für unsere Gemeinde ermöglichen.

Impressum:
Herausgeber:
Gemeinde Langenorla
Autor: Horst Förster
Redaktion: Horst Förster
Gerhard Querengässer
Korrektur: Joachim Büchel
Herstellung: TDW GmbH
Bahnhofstraße 2
07338 Leutenberg
Preis: 2.-€

Besuchen Sie doch einmal Langenorla im Internet:

www.Gemeinde-Langenorla.de

 


Das Krebsgewächs der Diktaturen

schießt empor bei Konjunkturen.

Weh Dir, hast du ne andre Meinung

als Dir vorgeschrieben in der Zeitung.

 

Vater zittert vor dem Sohn,

ist im Haushalt ein Spion?

Spitzel lauschen an den Türen,

nur um auszuspionieren.

 

Das Volk bekommt den scheuen Blick,

erst rechts, dann links und dann zurück

bevor sie mal zu sprechen wagen

und nur vertrauten freunden sagen,

wie ihnen so zu Mute ist,

wie die Gesinnungsfolter sie zerfrisst.

 

 

Schon ist es ein geflügelt Wort:

Der größte Lump im ganzen Land

das ist und bleibt der Denunziant!
Martin Lauer

Zur Vorgeschichte
Seefahrernationen waren es, die in den Jahrzehnten nach der Entdeckung Amerikas (1492) das Wettrennen um die Aufteilung der Welt begannen: Spanien, Portugal, Holland, Belgien, Frankreich und England. Es ging ihnen dabei um Rohstoffe und Arbeitskräfte. Der Höhepunkt der Kolonialisierung war die Zeit zwischen 1880 und 1914. Der Kolonialbesitz umfasste mehr als die Hälfte der Erdoberfläche. Der deutsche Imperialismus war bei der Aufteilung der Welt zu spät gekommen. 1914 wollte er dieses Versäumnis nachholen und fiel auf die Nase. Er verlor nicht nur seine wenigen Kolonien sondern auch noch eigenes Staatsgebiet. Der Versailler Vertrag traf Deutschland hart. Hitler versprach bei seinem Machtantritt als Reichskanzler am 30. 01. 1933 dem deutschen Volk: ich führe euch herrlichen Zeiten entgegen. Er suggerierte den Deutschen, sie seien ein Volk ohne Raum. Er geiferte gegen KPD und SPD, gegen Juden, Franzosen, Engländer, Polen, Russen u. a. m. Die Bodensee- Rundschau vom 5. Februar 1933, dem Tag meiner Geburt, betitelt u. a. einen Artikel „Gegen die intellektuellen Urheber des Bürgerkrieges“. Hand in Hand mit der Bekämpfung der ideologischen Gegner liefen im Staate die Völker- und die Rassenhetze. Die nationalistische Volksverdummung war dermaßen geschickt, dass sie bei manchen Menschen noch heute wirkt. Die Aufrüstung lief auf vollen Touren. Die Kriegsvorbereitung schuf Arbeitsplätze. 1938 hielt Hitler im Auftrag des Großkapitals die Zeit für gekommen, einen neuen Anlauf zur Neuaufteilung der Welt zu starten. Österreich und die Sudeten wurden Deutschland einverleibt, dann ging es kriegerisch weiter: Polen wurde überrollt, Dänemark und Norwegen wurden besetzt, Holland, Belgien, Luxemburg und Frankreich folgten. Nach dem Anfangsschrecken der einfachen Menschen, die keinen Krieg wollten, folgte Jubel über die schnellen Erfolge der Wehrmacht. Fast täglich ertönte im Radio eine Siegesfanfare, die eine neue Eroberung meldete. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. 06. 1941 begann bei vielen Menschen das Umdenken. Man ahnte, dieses Riesenreich kann man sich nicht einverleiben. Man erinnerte sich an Napoleon. - Nach Anfangserfolgen, bei denen der europäische Teil Russlands bald erobert war, folgte im Februar 1943 bei Stalingrad die Wende. Auch die Kriegsschauplätze in anderen Teilen der Welt brachten im Radio keine Siegesfanfaren mehr. Langsam aber sicher kehrte der Krieg dahin zurück, von wo er ausgegangen war. Ende 1944 hatten die amerikanischen Truppen die Westgrenze Deutschlands erreicht, der „Westwall“ an einzelnen Abschnitten durchbrochen. Eschweiler war genommen, der Kampf tobte im „Großraum“ Aachen.- Die Rote Armee hatte die Grenze Ostpreußens erreicht. Jeder klar denkende Mensch erkannte, der Krieg ist schon so gut wie verloren. 

Zeitungsausschnitt aus der Bodensee - Rundschau vom 05.02.1933, den Tag meiner Geburt

                                     

 

Durchhalteparolen in der Heimatzeitung Pößnecker Zeitung

                 

Auszüge aus „Kleine Pößnecker Nachrichten

2. Januar: „Den Zucker gut einteilen! Im Dezember wurde bereits der Zucker für den 71. und 72. Zuteilungsraum mit ausgegeben. Die Hausfrauen müssen also mit diesem Vorrat bis zum 4. März ausreichen. Es wäre sogar gut, wenn sie ihn nicht gänzlich verbrauchen würden. Wir müssen jetzt wieder an die Zuckersparkasse denken, damit später, wenn die Beeren heranreifen und eingemacht werden sollen, schon eine Reserve vorhanden ist. Wenn man täglich nur einen Esslöffel Zucker zurücklegt, spart man in 30 Tagen 450 Gramm, also fast ein halbes Kilo.“

3. Januar: Sonntagsarbeit für Kriegsgefangene. Grundsätzlich haben Kriegsgefangene die gleiche tägliche Arbeitsleistung abzuleisten wie deutsche Arbeiter an der gleichen Arbeitsstelle. Dieser Grundsatz gilt auch für Sonntagsarbeit. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Kriegsgefangene mindestens nach dreiwöchiger ununterbrochener Arbeit eine zusammenhängende Ruhepause von 24 Stunden zuzubilligen ist, die jedoch nicht auf einen Sonntag zu fallen braucht.“

Brotrinde und Röstbrot besonders nahrhaft. Brotrinde schmeckt nicht nur gut, sondern hat auch einen großen Sättigungswert, weil sich durch das Backen besonders Geschmackstoffe in der Rinde entwickeln, die die Bildung des Magensaftes fördern. Das heißt natürlich nicht, dass die weiche Krume des Brotes an Nährwert nachsteht. Aber dass die gut durchbackenen Teile des Brotes mehr sättigen als die Krume, wird dadurch bestätigt, dass man den Sättigungswert des Brotes durch Rösten erhöhen kann. Auch im Rösten werden Stoffe gebildet, die eine Magensaftsekretion erzeugen!

5. Januar: “Reparaturstellen nehmen nur gewaschene Strümpfe an. Strümpfe immer nur schwach warm waschen, zuerst die helleren und dann die dunkleren Farben. Niemals reiben, sondern nur leicht durchdrücken. Strümpfe nicht in Sonne oder Ofennähe trocknen und immer an der Fußspitze aufhängen. Wer Wäsche und Kleidung pflegsam behandelt, dient der Kriegswirtschaft.“

7. Januar: „Waschmittel für Kinder auf Grundkarte 70. Der Reichsbeauftragte für industrielle Fette und Waschmittel gibt bekannt, dass in der Zeit vom 8. Januar bis 4. März auf die nicht unterteilten Abschnitte ein Normalpaket Wasch-(Seifen) Pulver der Grundkarten der 70. Zuteilungsperiode für Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr und vom dritten bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr ein Normalpaket Wasch- (Seifen) Pulver oder ein Doppelpaket Waschmittel für Feinwäsche oder ein Normalpaket Waschmittel für Feinwäsche 45 abgegeben werden kann.“

9. Januar:“ Fleisch statt Fett. Zur Aufklärung wird noch einmal darauf hingewiesen, dass auch in der 71. Zuteilungsperiode bei allen über drei Jahre alten Verbrauchern 125 Gramm Fett durch die doppelte Menge Fleisch ersetzt werden. Die für den Bezug von je 62,5 Gramm Fett vorgesehenen Abschnitte B1 und B 2 berechtigen also wieder nur zum Bezug von Fleisch oder Fleischwaren. Entgegen dem Aufdruck 62,5 Gramm der den Fettwert darstellt, gibt es wie bisher auf B1 und B2 je 125 Gramm Fleisch oder Fleischwaren. Auf den ganzen Abschnitt B also 250 Gramm.“

12. Januar: “ Das Volksopfer im Schulunterricht. der Reichserziehungsminister hat durch Erlaß angeordnet, dass die Schüler und Schülerinnen sämtlicher Schulen auf die Sammlung von Spinnstoffen und Ausrüstungsgegenständen für Wehrmacht und Volkssturm hingewiesen werden und dass ihnen im Unterricht ein Anschauungsbild von der Bedeutung dieser Volksopfer gegeben wird.“

Was mache ich heute nach Feierabend ? Ich suche alle Wehrmachtsgegenstände, entbehrliche Kleidung und Spinnstoffe zusammen und bringe sie dann sofort zur nächsten Annahmestelle des Volksopfers für Wehrmacht und Volkssturm.“

13./ 14. Januar:“ Uniformen von Beamten abgeben. Der Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, Dr. Lammers, hat in einem Erlaß an alle Reichsbehörden darauf hingewiesen, dass beim Volksopfer auch alle nicht zum Dienstgebrauch unbedingt benötigten Beamtenuniformen abgegeben werden müssen….“

16. Januar:“ Landabsatz von Briketts gedrosselt. Aus zwingenden Gründen sind die Gruben im Gau Halle - Merseburg angehalten worden, den bisher nahezu unbeschränkten Landabsatz von Briketts vorübergehend stark zu drosseln….. Kohlenhändler und Selbstabholer müssen sich vorher bei der Grube oder dem zuständigen Wirtschaftsamt erkundigen, ob Briketts im Landabsatz zur Verfügung stehen.“

19. Januar:“ Schmackhaftes Wintergrün. In klaren, langsam und stetig fließenden Gewässern findet sich jetzt eine richtige Winterpflanze, die Brunnenkresse. Sie ist von pikant- würzigem Geschmack. Die saftstrotzenden Rohblätter enthalten die Vitamine A, B und C, die der Körper braucht. Verwendet wird die Brunnenkresse am häufigsten als Salat, außerdem schmeckt sie fein zerkleinert und gesalzen auf einem Butter- oder Margarinebrot recht gut. Hat man eine genügende Menge Blätter und Stengel zur Verfügung, dann kann man sie auch zu einem Gemüse verkochen.“

Kernseife aus der Hausschlachtung. Die Hausschlachtungen sind ebenso geeignet, das Sammelergebnis des wichtigsten Rohstoffes Knochen weiter zu steigern. Allein aus Hausschweinschlachtungen fallen im Reichsgebiet rund 100 000 Tonnen Knochen an. Dafür werden bei sorgfältiger Ablieferung 15 - 20 Millionen Stück Kernseife abgegeben, so dass durchschnittlich bei jeder Hausschlachtung aus der Knochenablieferung drei Stück Seife zusätzlich gewonnen werden können.“

22. Januar:“ Der jüngste Jahrgang des Volkssturms. Die deutsche Jugend hat den Befehl des Führers zur Errichtung des Deutschen Volkssturms mit der ganzen Begeisterung ihrer jungen Herzen aufgenommen. Ihre Ausbildung erfahren die in Frage kommenden Jahrgänge zunächst in Bannausbildungsla-gern der Hitler-Jugend. Sie bekommen ihre vormilitärische Ausbildung mit und ohne Waffen unter Leitung frontbewährter Hitler- Jugend- Führer und Ausbilder. Im Anschluß an diese Ausbildung werden die Jahrgänge dem Reichsarbeitsdienst zur Vertiefung und Fortsetzung der Ausbildung zur Verfügung gestellt. Das ist jetzt im Gau Thüringen geschehen.“

23. Januar:“ Verlegung von KLV- Lagern aus dem Osten. Bedingt durch die im Osten gegebene Lage, wurden die in den ostwärtigen Aufnahmegauen gelegenen KLV- Lager (Kinderlandverschickung) rechtzeitig geräumt und in sichere Aufnahmegebiete verlagert. Die Verlegung erfolgte in bereitgestellte KLV- Lager und ging planmäßig vor sich. Die Jugendlichen sind von den Lagerleitern angehalten worden, ihren Angehörigen sofort die neue Anschrift anzugeben.“

24. Januar:“ Die vielseitige Schwarzwurzel. Schwarzwurzeln schmecken vorzüglich, beinahe besser als Spargel. Zum Frühjahr müssen deshalb unbedingt wieder Schwarzwurzeln angebaut werden. Namentlich bei Gicht- und Nierenleiden nimmt man hin und wieder ein Glas Schwarzwurzelsaft, dann wird Linderung eintreten. Es ist als gutes Blutreinigungsmittel bekannt.“

25. Januar:“ Die neuen Raucherkarten, die für den 72. und 73. Zuteilungszeitraum ausgegeben werden, behalten mengenmäßig die bisherige Zuteilung von Zigaretten bei, während sich bei den Zigarren der billigeren Sorte die Zahl von 24 auf 21 verringert. Die Raucherkarte ist diesmal für Zigaretten in sechs Abschnitte zu je 10 Stück eingeteilt, bei den Frauen in drei Abschnitte, ebenfalls zu je 10 Stück. Die beiden nächsten Zuteilungsräume der 72. und 73. erstrecken sich auf die Zeit vom 5. Februar bis 1. April.“

27./ 28. Januar:“ Kartoffelmehl als Kindernährmittel. Bei der Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern wurde Kartoffelmehl bisher kaum mit den übrigen, meist auf der Grundlage von Mais entwickelten Kindernährmitteln auf eine Stufe gestellt. Namhafte Kinderärzte haben jedoch festgestellt, dass sich Kartoffelmehl ebenso wie Erzeugnisse aus Vollkorn oder Hafer als Nährmittel für Kinder verwenden lässt. Dem Kind ist diese Nahrung zuträglich und bekömmlich.“

¾ März:“ Die Mitteilung über die 73. Kartenperiode wird amtlich dahin berichtigt, dass auf den Grundkarten für Kinder von 6 - 10 Jahren nur der eine vorhandene Brotabschnitt mit dem Aufdruck „500 Gramm R .Brot oder 375 Gramm R - Mehl“ ungültig wird, da, wie bereits mitgeteilt, die Brotrationen der Kinder von 3 - 10 Jahren nur um 50 Gramm gekürzt wird.“

6. März:“ Wir verdunkeln. Dienstag von 19,04 bis 6,19 Uhr, Mittwoch (7.3.) von 19,06 bis 6.16 Uhr.

Weitere Heimatzeitungen liegen im Stadtarchiv Pößneck bis Kriegsende nicht vor

 

                        
                         Lebensmittelkarte für Bauern

Was tat sich in unseren Gemeinden?

Der Januar 1945 war bitterkalt. Die Kohlenvorräte in den Haushalten waren weitgehend aufgebraucht. Mit dürrem Leseholz hatten sich die einheimischen Familien recht gut versorgt. Viele Tragkörbe voll waren nach Hause geholt worden. Nicht nur in Dorfnähe sah der Wald aus, wie leergefegt. Ab und zu kam es zu längeren Schneefällen und je ein Bauer aus dem Dorf spannte seine Pferde vor den im Sommer zusammengeklappten großen hölzernen Schneepflug und beräumte die Durchgangsstraße.-

Mit dem Vormarsch der Alliierten schrumpften nicht nur die Reichsgebiete, nein , auch all die noch vor kurzem besetzten Gebiete, die alle Lebensmittel ins Reich liefern mussten, waren verloren. Auf den Höfen in Deutschland fehlten die Bauern, in den Betrieben die Fachleute. All dies wirkte sich auf die Versorgung der Bevölkerung aus. Der ganze Mangel war über Bezugskarten geregelt: Lebensmittel, Tabakwaren, Kleidung Schuhe, Kartoffeln, Kohlen. Von Monat zu Monat musste mehr gespart werden. In Kleindembach traf es besonders die gefangenen Slowaken in der Porzellanfabrik. Schwere Arbeit in der Reimahg bei Kahla, mangelhafte oder besser keine Winterkleidung, Kälte und Hunger rissen ab Januar immer mehr Lücken in ihre Reihen. Wurden die ersten Toten auf dem ehemaligen Friedhof an der Kirche im Beisein eines katholischen Pfarrers aus Pößneck begraben, so änderte sich das bald. Am 4. Januar 1945 steht im Protokollbuch: „Der Gemeinderat ist nicht damit einverstanden, dass die Slowaken des Gefangenen-Lagers auf dem ehemaligen Friedhof bei der Kirche beerdigt werden. der Bauer Otto Barth hat für diesen Zweck sein Grundstück am Schmidtenberg der Gemeinde zur Verfügung gestellt. Dieses Anerbieten wird angenommen.“ Es kam aber nicht zur Wirkung.- Am 12. 3. heißt es dazu:“ Die hohe Sterblichkeit im Gefangenen- Lager macht eine Erweiterung des Friedhofes nötig, und zwar ist ein Teil des anliegenden Ida Berg’schen Feldgrundstückes vorgesehen, ebenso ein Teil des ebenfalls anliegenden Stößlein’schen Grundstückes“. 12. 3.1945. Der Beigeordnete Süße berichtet über seine Verhandlungen mit Frau Anna Stößlein: „Nach langen Verhandlungen hat dieselbe in Folgendes eingewilligt: sie tritt auf dem Tauschwege an die Gemeinde ab…….ein Teilstück in der Größe von etwa 12 Ar entlang des Gemeindefriedhofes.“ Die am Wege von der Fabrik zum Friedhof wohnenden Bürger sahen immer öfter, wie mit einem Schollerwagen mit einer Decke bedeckte nackte Leichen von Gefangenen zum Friedhof gefahren wurden. Wir neugierigen Jungen sahen auch, wie diese dann hinter dem Friedhof auf Stößleins Grundstück in einer Erdgrube verscharrt wurden. Ja, sie waren nackt. Ab und zu hob der Wind eine Decke und verrutschte sie auf dem Wagen, so dass man das Elend sehen konnte. Die lebenden Gefangenen nutzten die Kleidung der Toten, um bei der Kälte eine bessere Überlebenschance zu haben - In Langenorla waren Fremdarbeiter, vorwiegend Italiener, im Sägewerk gezwungen, Kühltürme für die Wehrmacht zu errichten. Sie dienten der Benzinproduktion. Der leitende Zimmermann Gerbert, ein strammer Nazi, schlägt der Hausgehilfin des Pfarrers einige Lebensmittel aus der Hand und zertritt sie, als sie diese den hungernden Gefangenen überbringen will. In Kleindembach wird Frauen, die Gefangenen mit Essbarem helfen wollen, gedroht, sie zu melden.- Trotzdem finden sich immer wieder helfende Frauen. Alle im Gedanken an ihre Wehrmachtsangehörigen: vielleicht hilft meinem Mann, Bruder oder Sohn irgendwo in der Fremde auch eine mildtätige Seele.-

Ab Januar kamen in unserer Gegend ganze Züge voller Flüchtlinge aus Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetengau im Kreis Saalfeld an. Vorwiegend Frauen und Kinder sowie alte Menschen. Sie wurden in die umliegenden Städte und Dörfer verteilt. Zuerst wurden sie in Massenquartieren wie im Rosengarten in Öpitz oder dem Schloss Langenorla, im Letzteren waren 11 Familien mit 49 Personen , davon 31 Kinder einquartiert, Dann wurden auch Privathäuser mit Flüchtlingen belegt, wenn genügend nutzbarer Raum zur Verfügung stand. So waren im Pfarrhaus Langenorla folgende Personen untergebracht: die Witwe des bekannten Königsberger Prof. Knauer, die Gattin eine Filmschauspielers und eines Schriftstellers sowie Gräfin Ingeborg von Pfeil und Klein- Ellguth mit Töchtern. Ihr Mann war General der Flieger und wurde in Reims von Partisanen erschossen. Ein Vorfahr des Generals war einst Patronatsherr der Langenorlaer Kirche.-

Mitte Februar müssen Betriebe Holzfällerkommandos in die Wälder schicken, um Brennmaterial zu gewinnen, da mit den unzureichenden Kohlelieferungen die Produktion nicht in Gang gehalten werden kann.- Am 26. Februar informiert der Landrat des Landkreises Saalfeld die Bürgermeister seines Kreises:“ Evakuierte müssen aus unserem Kontingent versorgt werden…“ Das heißt, die Rationen auf Markenzuteilung werden weiter gekürzt.-

Bereits im November 1944 sind alle männlichen Personen von 16 bis 60 Jahren polizeilich zum Volkssturm aufgerufen worden. Der Volkssturm als letzte Rettung für das Reich gedacht, wurde durch Vereidigung unter die Militärgesetzgebung gestellt. Fehlen konnte von jedem Vorgesetzten als „Feigheit vor dem Feind“ gewertete und mit dem Tode durch Erhängen oder Erschießen bestraft werden. In den letzten Märztagen wird der Volkssturm zu den Sammelstellen einberufen. Da wagte keiner sich zu drücken, auch wenn ihm klar war, daß diese Einheit den Krieg nicht mehr gewinnen konnte. Ja, diese nur mit einigen Panzerfäusten versehenen Kräfte sollten den Vormarsch der amerikanischen Truppen in Thüringen stoppen. Zusätzlich wurden noch Panzersperren an den Ortsein- und Ortsausgängen aus dicken Baumstämmen angelegt. Für den Durchgangsverkehr wurde eine Lücke gelassen, deren Schließung in kürzester Frist vorbereitet war. In Kleindembach erfolgte dies unterhalb der Porzellanfabrik und in Höhe des Sportplatzes. In Langenorla an der Straße nach Orlamünde in der Kurve, wo der Weg auf die Würzhöhe führt.

Einige der Kriegsgefangenen der Porzellanfabrik, die vorher an der Porzellanfabrik und bei Günthers im Schweinitzer Weg Luftschutzbunker in den Berg anlegen sollten, waren ab Februar dort abgezogen worden und mit Gleisbauvorbereitungsarbeiten beschäftigt. So war geplant, vom Bahnhof Kleindembach aus einen Schienenstrang in den Berg in Nähe der Massenmühle zu verlegen. Der Berg sollte kriegswichtige Betriebe aufnehmen, die vor den alliierten Luftangriffen geschützt werden sollten. So wurde quer über die Mühlwiesen, über Schmidts Wiese sowie über die Felder von Frankens und Barths eine etwa drei Meter breite Trasse abgesteckt. Schmale Schienen wurden verlegt, die Grasstücke ausgestochen und mit Kipploren zur Seite gefahren. Vom Rande des höher liegenden Schweinitzer Weges wurde Erde für den geplanten Bahnkörper angefahren, um einen erhöhten Bahnkörper zu schaffen. Die Orla, die sich ab Massenmühle noch in einigen Windungen zum Dorf hin schlängelte, wurde begradigt. Viel wurde aber nicht mehr erreicht. Nach Kriegsende wurde, abgesehen von der Orla, der alte Zustand wieder hergestellt.

Ab Februar nahmen die Bombenangriffe der Amerikaner und Engländer stark zu. Faktisch gab es täglich Fliegeralarm. So gab es in Pößneck 1945 240 Mal Fliegeralarm. Allein die Bombenangriffe vom 8. und 9. April kosteten 61 Menschen das Leben, 115 wurden verletzt, über 100 Wohnungen und 6 Industriebetriebe zerstört. Die Bombenangriffe auf Saalfeld, unserer Kreisstadt, forderten 187 Menschenleben, davon 79 Frauen und 31 Kindern. Insgesamt wurden auf Saalfeld 1300 Bomben abgeworfen, wodurch 50 Wohnhäuser und 52 Betriebe total zerstört wurden. Die Produktion brach fast vollständig zusammen. Wir hier im Orlatal hatten großes Glück, wir wurden von Bombenangriffen verschont. Die Menschen wurden unvorsichtig. Immer weniger suchten den Keller auf, dafür standen sie auf der Straße und bewunderten die riesigen überfliegenden Pulks, die umkreist wurden von Jabos, immer bereit, sich auf deutsche Jäger zu stürzen. Aber auch Bodenziele waren vor ihnen nicht sicher. So wurde von ihnen am 9. 4. nahe des Oppurger Bahntunnels ein Munitionszug angegriffen und in die Luft gejagt. Aber so mancher junge Jabo-Pilot machte auch Jagd auf einzelne Fußgänger.

Für uns Kinder gab es keinen geregelten Schulunterricht mehr. Mit dem ersten Alarm fiel der Unterricht aus, wir durften nur noch nach der Entwarnung Silberstreifen und abgeworfene Flugblätter aufsammeln und beim Lehrer abgeben. Ab April war dann so oft Fliegeralarm, dass die Schule total ausfiel. Gern gingen wir dann auf den Turnplatz, um einmal auf den Turm steigen zu können, der errichtet wurde, um Feindflugzeuge , die hier überflogen, zu einer Zentrale zu melden. Er war ständig von einem Soldaten besetzt.

An einem Abend, es mag März gewesen sein, da fand in Gerda Richter’s Gaststube eine Versammlung statt. Unter anderem stellte der Ortsgruppenführer den Anwesenden eindringlich die Gefahr eines Bombenangriffes dar. Er drohte an, einem jeden, den er gaffend auf der Straße bei Feindalarm antrifft, „ in den Arsch zu treten“. Darüber musste Lindigs Fritz laut lachen. er ergänzte:“ Auch den Lindig trete ich in den Arsch!“

Auf unserer Dorfstraße sah man jetzt viele Militärlastkraftwagen. Viele von ihnen können ihre Ziele nicht mehr erreichen, diese sind schon besetzt. Wir Kinder halfen den Fahrern, ihre Wagen gegen Sicht von oben zu tarnen und schleppten jede Menge Äste heran. Ich erinnere mich, dass einer der Wagen Zuckersäcke geladen hatte. Ein anderer war voll gepackt mit Verbandskästen. Mancher Fahrer forderte die Bevölkerung auf, sich zu bedienen, ehe es in falsche Hände fällt. So landete bei uns ein kleiner Sack mit Zucker und ein Sanitätskasten mit Schere, Verbandmull Verbandspäckchen und Brandschutzbinden. Besonders die Letzteren waren wunderbar. Sie linderten bei Verbrennungen und Verbrühungen fast sofort. Sie halfen uns sehr oft, denn nach dem Krieg war es nicht leicht, immer an einen Arzt zur Behandlung zu kommen.-

Am 5. und am 10. April wurden durch Langenorla und Kleindembach einige hundert Buchenwaldhäftlinge getrieben. Das Schlurfen der Füße dieser durch Arbeit und karges Essen ausgemergelten Menschen werde ich, so lange ich lebe, nie mehr vergessen.- Junge, bestens genährte SS-Leute mit Bluthunden liefen an den Seiten und trieben die Häftlinge immer wieder mit Kolbenschlägen an. Wer zusammenbrach, wurde an Ort und Stelle erschossen. Pfarrer Jäger aus Langenorla, der am 11. 4. zum Begräbnis der alten Frau Eismann mit dem Fahrrad nach Freienorla musste, wurde in Höhe der Weinschänke beschossen. Er sprang vom Rad in den Graben. da lag ein durch Genickschuss ermordeter Buchenwaldhäftling. Auf dem Rückweg fand er einen weiteren Toten. Insgesamt wurden in der Flur Langenorla drei Buchenwaldhäftlinge italienischer Nation erschossen. Sie wurden an der gleichen Stelle vergraben. Laut Volkswacht vom 12. 04. 1980 sollen im damaligen Kreis Pößneck 256 Häftlinge verschiedener Länder erschossen worden sein.- Als einer dieser Elendszüge durch Kleindembach kam, arbeitete ich mit Mutter im Garten vor dem Haus. Erschrocken schauten wir zur Straße. Als einer der SS-Leute auf einen der wankenden Häftlinge mit dem Gewehrkolben einschlug, konnte Mutter nicht mehr an sich halten und rief:“ Schämen Sie sich nicht?“ Die Antwort war:“ Du willst wohl mitkommen?“ Daran lässt sich auch erkennen, was 12 Jahre Nazipropaganda aus jungen, einst gewiss anständig erzogenen Menschen gemacht hat!

Auch die in der Porzellanfabrik Kleindembach eingesperrten Häftlinge wurden in diesen Tagen in Richtung Franken getrieben. Gespenstig war das Aussehen des Restes der einst so sauber, exakt und mit einem Lied auf den Lippen einmarschierten 1400 slowakischen Aufständischen.-

Am 13. April wird die erst im November 1944 eingeweihte Saalebrücke an der Linkenmühle gesprengt. In unserer Gegend sind es die Straßen- und die Eisenbahnbrücke in Orlamünde, die Brücken in Schweinitz, die Straßenbrücke in Köstitz und die schmale Brücke am Gaswerk. Am 4.4. kam ein Motorrad mit Seitenwagen vom Rothig her nach Kleindembach gebraust, um in letzter Minute auch noch unsere Orlabrücke in die Luft zu jagen. Dem mutigen Eingreifen des Lokomotivheizers Richard Wendland ist es im Verein mit dem Kolonialwarenhändler Wilhelm Görner gelungen, dieses Vorhaben zu vereiteln.

In diesen Tagen lag in Langenorla eine SS- Einheit. Während die Bevölkerung hungerte, lebten sie durch ihre mitgebrachten Lebensmittel in Saus und Braus. ihr Motto war: genießt den Krieg, der Friede wird furchtbar sein! Als die SS so um den 11. oder 12. April abzog, kamen junge Menschen aus Rudolstadt, der so genannte „Wehrwolf“. Mit Hilfe einiger Panzerfäuste sollten sie den Vormarsch der amerikanischen Truppen hier im Orlatal aufhalten. Am 13. April sammelte Lehrer Oskar Siegel, ein im 1. Weltkrieg schwer verwundeter Offizier diese Hitlerjungen und einige Rentner um sich. Dieser „Volkssturm“ zog ab in Richtung Hummelshain. Ohne sich auf Kampfhandlungen einzulassen, kamen sie am 14. 4. zurück und machten sich

leise und unauffällig auf den Heimweg.

Am 13. und am 14. 4. wurden einige Granaten auf Langenorla abgefeuert. Einige wenige Häuser wurden dabei beschädigt, am meisten das Großmann’sche Haus. Auch oberhalb von Kleindembach schlug am frühen Morgen des 14. 4. auf der Thierze eine Artilleriegranate ein. Innerhalb kürzester Frist waren wir in unserem Keller verschwunden. Zu uns kam Frau Hannemann mit ihren drei Kindern. Uns war nicht klar, das wir durch das schmale Kellerluftloch niemals aus dem Gebäude gekommen wären, wäre es zerstört worden.- Am gleichen Morgen ließ Pfarrer Jäger eine weiße Fahne auf dem Kirchturm in Langenorla hissen, um zu zeigen, dass in Langenorla kein Widerstand geleistet wird . Dazu gehörte damals sehr viel Mut! Die Witwe des Generals Stieler bedrohte ihn mit einer Pistole und warf ihm Feigheit vor. Ein Herr Dietrich schlug ihr vor, mit ihrer Pistole doch die amerikanischen Panzer aufzuhalten. - Gemeinsam mit Bürgermeister Geinitz übergab er am 1. Haus, auf englisch radebrechend und um Gnade flehend, das Dorf an die Amerikaner. Ihr Benehmen erstaunte. Auf dem Friedhof zerschlugen sie ein mit einem Trauerflor geschmücktes Soldatenbild. In der Stube im oberen Geschoß stellten sie ein Maschinengewehr auf einen Tisch und beschossen ohne Grund ein Feld. - Am Nachmittag besuchten Pfarrer Jäger und der Bürgermeister den Kommandanten von Langenorla, einen emigrierten deutschen Juden, der wegen der Greueltaten der SS in Buchenwald, deren Ergebnisse er mit ansehen durfte nach der Befreiung des Lagers, ziemlich hart reagierte. Man besprach die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung.- Am selben Tag wurde auch Kleindembach von den Amerikanern erreicht. Farbige waren die ersten Soldaten, die ich sah. Sie kamen den Steig hoch. Die Gewehre schussbereit in der Hand und mit Sprechgeräten ausgerüstet, aufmerksam um sich spähend, erreichten sie das Dorf. Türen wurden mit den Füßen geöffnet, um schnell reagieren zu können mit der Waffe. So ist es also möglich, dass unser schönes Orlatal von Enkeln oder Urenkeln einstiger Sklaven befreit wurde. Wenig später kamen auch Panzer über die Hölle und donnerten weiter Richtung Pößneck. Oberhalb des Ladeplatzes bekamen sie von der im Wäldchen an der Massenmühle liegende SS Feuer. Sofort drehten sie um, fuhren ins Dorf, bogen in die Hellgasse ein, nahmen bei Wahners ein Stück Hauswand bis zum Dach mit, überfuhren einen Hydranten und nieteten einen Lichtmast um. Dann blieben sie stehen. Über die Landstraße waren inzwischen auch Panzer, Lastkraftwagen und Jeeps im Dorf angekommen und hielten im Schutz der Häuser an. Natürlich untersuchten die GI’s auch die anliegenden Grundstücke, besonders die der Bauern, weil da etwas zu holen war. Bei Schmidt’s Hermann wurden die Eier von den Hühnernestern genommen, im Keller die Butter und in der Speisekammer fanden der große runde Quarkkuchen einen neuen Liebhaber. Inzwischen war hinten am Teich von Köhlers Artillerie in Stellung gebracht wurden und wenig später ertönte es vom Berg „Feurio“, wurde weiter gegeben in Schmidts Garten, auf Köhlers Wiese und dann rumpelte es. Einige Granaten vertrieben die SS an der Massenmühle, dann wurde das Feuer ins Oberland verlegt. Etwa nach einer Stunde herrschte wieder Ruhe.

Bis auf einige verbohrte Nazi’s waren die Menschen froh, dass der Krieg für sie beendet war. Ihre Devise: lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Im Dorf wurde bekannt gegeben, dass bis 16 Uhr alle - auch alte Waffen, Säbel, Seitengewehre Dolche, Jagdflinten sowie Fernrohre und Fotoapparate abzugeben sind. Die Waffen wurden im Hölzelsweg, das andere an der Kreuzung bei Würzbergers abgeliefert. Was gefiel, wechselte nun ganz schnell den Besitzer, auch so manche Waffe. Der Rest wurde unbrauchbar gemacht. So war auch ein schöner alter Drilling von Hermann Schmidt am nächsten Tag nicht unter den zerstörten Waffen aufzufinden.

Am selben Tag wurde auch eine Ausgangssperre von 19 Uhr bis 7 Uhr verhängt. In dieser Zeit durfte sich niemand auf der Straße sehen lassen.

 

Unter amerikanischer Besatzungsmacht

Für unsere Gegend war der Krieg zu Ende. Die Menschen atmeten auf. Bereits am 17. April hängen überall von der Besatzungsmacht angeschlagene Befehle, Verordnungen, Verbote. So dürfen Fahrzeuge, auch Fahrräder, nur mit besonderer Erlaubnis benützt werden. Alle ehemaligen Soldaten, die ihre Einheiten verlassen hatten und nach Hause geflohen waren, müssen sich als Kriegsgefangene melden. Alle Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen werden aufgefordert, sich zum Registrieren zu melden. Die aus ganz Europa zusammen getriebenen Fremdarbeiter, in Lumpen gekleidet und in Notunterkünften zusammen gepfercht, sollen Disziplin wahren und den Anordnungen der Militärregierung Folge leisten. Die Fremdarbeiter versuchten, durch Diebstähle und Plünderungen ihr tägliches Leben zu verbessern. Auch verlangten sie die Rückführung in ihre Heimatländer, zumindest die Mehrheit.- Aber auch so mancher hier ansässige Bürger nutzte die Gunst der Stunde, und beschaffte sich, wenn sich die Gelegenheit bot, Dinge, die er zum Leben benötigte, aber regulär nicht erwerben konnte. Nur wer solche Zeiten selbst erlebt hat, weiß, wie weh Hunger tut.-

Der in Saalfeld eingesetzte Militärkommandant, US. Major Taylor, setzte nach Rücksprache mit dem katholischen Pfarrer am 17. 4. den Direktor der Saalfelder Nähmaschinenfabrik, Herrn Walther als Landrat ein. Er bekam die Aufgabe gestellt, für die Besetzung der Bürgermeisterstellen in allen Städten und Gemeinden des Landkreises Saalfeld Sorge zu tragen. Dazu gehörten auch unsere drei Gemeinden. Die meisten alten Bürgermeister blieben aber weiter im Amt. Viele weitere Aufgaben erwarteten ihn ebenfalls. Es ruhte der Bahnverkehr, es herrschte Mangel an Kohlen, Strom gab es nur stundenweise, die Bevölkerung hungerte und benötigte besonders für die Heranwachsenden die notwendige Kleidung. Es waren gewiss keine leichten Aufgaben, vor die er sich gestellt sah.

Wie richteten sich nun die „neuen Herren“ bei uns ein? In Langenorla hatte die Kommandantur im Parterre und im 1. Stock des Schlosses Quartier genommen. Des Weiteren waren Soldaten bei Arthur Sänger, bei Starkes (heute Büttner), bei Königs (heute Schilder), sowie bei Kleinsims unter­gebracht. Die Besitzer mussten ihr Haus räumen und sich anderswo ein Unterkommen suchen.

In Kleindembach lagerte eine Gruppe amerikanischer Soldaten oberhalb von Seißes Teich, da, wo sich heute die Kleingartenanlage befindet. Sie lebten in Zelten mit Feldbett und Gummibadewanne. Auf dem Waldweg, links des

Noßbachweges, der in Richtung Untermühle führte, war eine Grube ausgehoben, in welche sie ihre Essenreste warfen, u. a. halbe Weißbrote. Alles wurde sofort mit Benzin oder Petroleum übergossen, auf das es für die überall umher lungernden und hungrigen Kinder ungenießbar war. Das tat uns sehr weh und wir rächten uns dafür. So schlich ich mich vom Weg oberhalb des Zeltlagers in ein Zelt, Helmut Günther sicherte mich ab, ich entwendete einen Kopfhörer und was wichtiger war, ein größere Büchse. Beim Teilen mussten wir enttäuscht feststellen, dass die Büchse kein Fleisch enthielt, dafür aber eine wunderbare Rosinen Marmelade. In Langendembach waren keine amerikan. Soldaten.

Auf den Orlawiesen bei Schweinitz war aber ebenfalls ein Zeltlager.

Hier bei uns gab es während dieser Zeit keinerlei unangenehme Zwischenfälle zwischen GI’s und und der einheimischen Bevölkerung. Im Gegenteil, junge Mädchen bauten bald sehr innige Verhältnisse auf!

Am 8. Mai fasste der Pößnecker Bürgermeister Alfred Bochert für seine Gemeinde zusammen: „Mit Beendigung des verbrecherischen Krieges war die Industrie zum Erliegen gekommen. Die Existenzgrundlage für die Bauern war längst zerstört. Hinzu kommen die großen materiellen und persönlichen Schäden durch die Kriegseinwirkungen. Allein in der Stadt Pößneck waren neben der Verhaftung vieler aufrechter Menschen, die gesundheitlich und wirtschaftlich ruiniert wurden, 54 Opfer des Bombenkrieges, 450 Kriegstote, mehr als 300 Kriegsversehrte zu beklagen. Vernichtet waren mehr als 100 Wohnungen, davon 70 völlig unbrauchbar. Von 18 Fabrikanlagen waren 6 zerstört. Die Beseitigung der Schäden erfordert in Pößneck einen Kostenaufwand von 2,7 Millionen Mark. Etwa 1000 Männer und 1900 Frauen waren arbeitslos. In breiten Kreisen der Bevölkerung herrscht Depression, Apathie und Demoralisierung. Die Arbeit hat aufgehört, Lebensinhalt der Menschen zu sein. Viele beherrscht auch die Angst vor der Verantwortung für die begangenen Verbrechen, an denen sich weite Kreise der Bevölkerung mit schuldig gemacht haben. Die allgemeine Frage ist, wie soll es nun weiter gehen?“

Am 23 Mai 1945 verschickt der Landrat folgendes Rundschreiben an die Bevölkerung und an alle Dienststellen im Landkreis:“ Auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens hat das Kriegsende Fragen ausgelöst, über deren einschneidende Bedeutung in weitesten Kreisen Unklarheit herrscht, wenn man nicht überhaupt vorzieht, vor dem tiefen Ernst der Lage die Augen zu verschließen. Außer den Städten und Gemeinden unseres Kreises sind mir als Aufsichtführender auch die Reichsstellen sowie die private Wirtschaft (Gewerbe, Handwerk, Handel usw.) unterstellt. Alle mit einer ungeheueren Verantwortung belasteten Fragen können bei der augenblicklichen Gebiets-aufteilung nur in den engen Grenzen unseres Kreises ohne Anlehnung nach außen angefasst werden. Ihre Lösung ist aber so dringend, dass keine Zeit zu verlieren ist. Eine Beurteilung, wie sich unsere Verhältnisse nach dem Kriege gestalten werden, ist nicht möglich. Somit sind alle Maßnahmen nur als Notmaßnahmen anzusehen und haben vorübergehenden Charakter. Die Steuerung dieser Dinge nach einheitlichen Gesichtspunkten unter zentraler Leitung ist zwangsläufig und unerbittlich. Ich ziehe jeweils einen aus allen Schichten der Bevölkerung zusammengesetzten Kreis von Fachleuten zur Beratung heran und trage mit diesen gemeinsam die schwere Verantwortung. Die Probleme einer geordneten Geldwirtschaft stehen im Vordergrund. Zwischen den Ausgaben einerseits und den Einnahmen andererseits ist ein unvorstellbares Missverhältnis eingetreten. Die in der Anlage als Anordnung aufgeführten Notmaßnahmen müssen von allen Kreisen der Bevölkerung verstanden werden. Sie hängen eng zusammen mit der Steuerung der vorhandenen Zahlungsmittel. Unter Hinweis auf die Aufforderung der nunmehr wieder geöffneten Banken und Sparkassen richte ich an die Einwohnerschaft des Kreises Saalfeld die Aufforderung, alle zurückgehaltnen Geldscheine den Banken und Sparkassen zur Verfügung zu stellen. Das ist die Voraussetzung für die Durchführung der vorliegenden ersten Anordnung für einen reibungslosen Ablauf des Geldverkehrs in unserem vorerst noch abgeschlossenen Landkreis überhaupt. Was auch kommen mag: es ist die Pflicht eines jeden einzelnen, diese Notmaßnahmen als unabänderlich hin zu nehmen. Die augenblickliche Lage darf uns nicht überwältigen!

Gez. Walther, Landrat“

 

In der Anlage heißt es: „Vorbehaltlich einer späteren endgültigen Regelung gilt für alle öffentlichen und privaten Zahlungspflichtigen ( öffentlich -rechtliche Körperschaften und die private Wirtschaft, Industrie, Handel Gewerbe, Handwerk usw.) folgende Anordnung:

Ab 1, Mai 1945 werden bis auf weiteres Abschlagzahlungen auf Gehälter, Ruhegelder, Hinterbliebenenbezüge, Sozialrenten, Vergütungen und Löhne geleistet. Es erhalten:

-Verheiratete                       120.- RM monatlich

-ab 2. Kind unter 16 Jahren ..10.- RM monatlich

-Unverheiratete ..                   80.- RM monatlich.

Verwitwete oder Geschiedene mit eigenem Haushalt gelten als Verheiratete, ohne eigenen Hausstand als ledig. Vergütungen und Löhne, die bisher diese Sätze nicht erreichten, bleiben unverändert. Aufwandentschädigungen jeglicher Art fallen ab 1.4.1945 fort. Bereits erfolgte Zahlungen über diese Beträge hinaus sind wieder zu vereinnahmen.

Am 1. Juni 1945 werden Verordnungen der Militärregierung für den Kreis Saalfeld erlassen. (Siehe S. 20 bis22).

Am selben Tag erscheint eine Anordnung des Landrates, in dem das Ausgehverbot für die Zeit von 23 Uhr bis 4.30 Uhr festgelegt wird. Außerdem wird die Umbenennung der Straßen, die mit der nationalsozialistischen Bewegung verbunden sind, bis zum 15. 6. angeordnet. In Pößneck die Adolf- Hitler- Straße in Karl- Marx- Straße,

Hindenburgstraße in Ernst- Thälmann- Straße,

Fritz- Wächter- Straße in Rudolf- Diesel- Straße,

Karl-Schmückle-Straße in Am Teichrasen,

Manfred v. Richthofen-Straße in Rudolf- Breitscheid- Str.

Straße der SA in Beethovenstraße

Wilhelm-Gustlow-Weg in Oberer Hainweg,

Konrad-Henlein-Straße in Oberer Hainweg,

Oststraße in Karl-Liebknecht-Straße,

Dietrich-Eckardt-Weg in Uhlandweg.

Am 11. Juni erscheint der Aufruf der KPD an das deutsche Volk zum Aufbau eines antifaschistischen, demokratischen Deutschland, der auch bei uns im Ort Gehör findet.

Am 16. Juni erhält die Gemeinde Schweinitz vom Landrat den Bau-Erlaubniss-Schein für den Neubau der gesprengten Orlabrücken. Umgehend beginnen unter dem Baumeister Hilmar Reiße aus Langenorla die Arbeiten in Hoch-, Tief- und Eisenbetonbau.

 

 

Verordnungen- Titelblatt

 

Verordnungen betreff Kriegsgefangene, Rückführung Evakuierter

 

Verordnung Seuchengefahr und Autofahrten- rechte Seite

 

In Saalfeld, auf dem so genannten Feldherrenhügel, einer Siedlung mit etwa 100 Wohnungen, kampierten ebenfalls amerikanische Soldaten. Als sie fortzogen, fanden die Eigentümer ihre Wohnungen verschlossen vor. Alle Schlüssel fanden sich in einem Buddelkasten in der Mitte der Siedlung wieder, allerdings schön vermischt mit denen der Innentüren sowie der Türen aller Schränke und Truhen. Es dauerte Tage, bis jeder Eigentümer wieder seinen Schlüssel hatte.

Auch ein Kleinbäuerlein musste seinen Hof räumen. Als er seine Kuh füttern wollte, wurde ihm der Zutritt verwehrt. Er flehte sie an, ihn doch füttern zu lassen, umsonst. Als sie abzogen, fand er die Futterkrippe seiner Kuh voll angefüllt mit Kekspaketen. Späße junger Leute, die froh waren, dass der Krieg zu Ende ist!

Die Amerikaner hatten es geschafft, in den knapp 100 Tagen ihrer Besetzung, unter der Bevölkerung eine gewisse Rechtssicherheit zu gewährleisten. Da die Bevölkerung aber nicht wusste, wie es weiter gehen sollte, waren sie unsicher. Gerüchte kursierten, dass Thüringen an die Russen gegen einen Teil Berlins ausgetauscht werden sollte. Das schürte Zukunftsängste. Zwölf Jahre Nazi-Ideologie und die bekannt gewordenen in der Sowjetunion verübten Verbrechen der deutschen Wehrmacht und der Waffen SS, ließen das Schlimmste für die Bevölkerung erwarten.

Nebenbei hatten die Amerikaner in Thüringen das Know how abgeschöpft. Neben Dokumentationen und Mustern gewannen und zwangsverpflichteten sie neben Wernher von Braun auch leitende Mitarbeiter von Firmen Universitäten, Instituten und Sondereinrichtungen. In Jena betraf es 84 lei-tende Mitarbeiter der Zeisswerke, 41 der Firma Schott und 18 Professoren der Friedrich- Schiller- Universität.

In der sowjetischen Besatzungszone

Es war der 2. oder 3. Juli 1945. Schon frühmorgens ging es wie ein Lauffeuer durch das Dorf. Die Ami’s sind weg, die Russen kommen. In kürzester Zeit war das Dorf wie leer gefegt. Die Türen wurden verschlossen, wenn möglich noch verbarrikadiert. Und dann, im Laufe des späten Vormittags kamen sie. Alles staunte, dass solch eine Armee die bestens bewaffnete deutsche Armee schlagen konnte. In Panjewagen, bespannt mit kleinen zottigen Pferden ging es im Trab, ohne Halt durch das Dorf. In Schweinitz machten sie Rast und fütterten ihre Pferde mit den Heuvorräten der dortigen Bauern. Auch in den nächsten Tagen sah ich keine Person in der braunen Felduniform der Roten Armee. Trotzdem blieb die Angst unter den Menschen bestehen. Zu viel Böses hatte man auch von den Vertriebenen von Übergriffen und Verbrechen der Vertreter dieser Armee gehört. Es gab aber damals auch Leute, die sagten, wenn die Russen bei uns so hausen, wie unsere Armeen dort, dann bleibt in Deutschland kein Stein mehr auf den anderen.

Unmittelbar nach dem Truppeneinzug errichteten die sowjetischen Besat-zungstruppen ihre Militärbehörden. Es entstand die Sowjetische Militäradministration Thüringen unter der Führung von General Wassili i.Tschuikow und General Iwan S. Kolesnitschenko als Chef der Verwaltung am 9. Juni mit Sitz in Jena und ab 16. Juni in Weimar. Zunächst übernahmen sie die von den Amerikanern hinterlassenen Verwaltungsstrukturen. In das Amt des Landespräsidenten des Landes Thüringen wurde Dr. Rudolf Paul berufen. Am 20. August übertrug die sowjetische Besatzungsbehörde das Gesetzgebungsrecht für das Verwaltungsgebiet Thüringen auf den Landespräsidenten. Ganz langsam kommt das normale Leben wieder in Gang. Zwar ist vorwiegend kein Strom vorhanden, die Züge fahren noch nicht wieder und in den Fabriken stehen die Maschinen still. Da wird am 5. Juli mit den noch vorhandenen fünf einsatzfähigen Lokomotiven auf dem Bahnhof Saalfeld der Fahrbetrieb wieder aufgenommen. In den nächsten Tagen müssen ehemalige Mitglieder der NSDAP in Langenorla die drei ermordeten italienischen Buchenwaldhäftlinge ausgraben und auf dem oberen Friedhof bestatten. In Kleindembach wurden die toten slowakischen Kriegsgefangenen ebenfalls aus Stößleins Garten in die Mitte des Friedhofes umgebettet.

Am 6. August gab der Landrat folgenden Befehl des sowjetischen Kommandanten zur öffentlichen Bekanntgabe am „Schwarzen Brett“an alle Bürgermeister gesendet: „Der Thüringer Regierung sind alle Privataufkäufe von Seiten der Bevölkerung und der Roten Armee bei den Landwirten

untersagt. Groß- und Kleinhändler fallen mit unter diese Bestimmung. Die Landwirte haben ihre Produkte, also Getreide, Ölfrüchte, Kartoffeln, Gemüse und Obst an die ihnen zugewiesenen Lager zu den bestimmten, ihnen bekannten Tag abzuliefern. Wer diesem Befehl entgegen handelt, hat mit den schwersten Strafen zu rechnen.“ Und diese Drohung wurde sehr ernst genommen!

Gemeinderatssitzung am 30. 8. 1945 in Kleindembach:

„Weitere 10 Quartiere für Ostflüchtlinge sind zu beschaffen. Es wird beschlossen, die Wohnung im Abischt’chen Dachgeschoss sofort auszubauen. Die Baukosten sollen nach Möglichkeit durch die Miete abgegolten werden. Doch soll der Bürgermeister beim Landrat geltend machen, dass das berechnete Soll erfüllt ist und weitere Zuweisungen abgewiesen werden müssen. Die Decken (1 Kiste), 20 Schemel und Spinde bei Egelkraut und die 42 Betten und 10 Spinde bei Richard Pohl sollen vom Bürgermeister beschlagnahmt und den evakuierten Ostflüchtlingen zur Ver- fügung gestellt werden.“

Am 12. September führte der Wirtschaftsoffizier der sowjetischen Komman-dantur, Major Terticzin, mit den Vertretern der Pößnecker Betriebe eine Beratung durch. Zeitzeuge Alfred Fuchs hielt dazu fest:“ Er forderte den Anlauf aller Betriebe. Ausflüchte ließ er nicht gelten. Er orientierte darauf, dass sich die Betriebe selbst um Arbeitsmaterial und um Kohle bemühen müssten. Er nahm auch Einfluss auf die Warensortimente, die zweckmäßigste Produktion und forderte, alle Maschinen voll auszulasten. Zur Arbeitskräfte- situation forderte er, die fehlenden Näherinnen durch Umschulung aber auch durch die Schaffung von Kindergartenplätzen zu gewinnen.“

Grosse Probleme bereitete in diesen Tagen und Monaten das Ernährungsproblem. Überall herrschte Hunger. In der sowjetischen Besatzungszone ging man davon aus, dass nur eine Veränderung der Verhältnisse auf dem Lande die Probleme lösen kann. „Solange die alten Junker und Saboteure in den Dörfern sitzen, kann der Hunger nicht gestillt werden.“ Es wurden in kürzester Zeit antifaschistische Ortskomitees gegründet und Antifaschisten als Bürgermeister eingesetzt.

Am 17. September ergeht der Befehl Nr. 66 des Chefs der Sowjetischen Militär- Administration in Deutschland. Hier heißt es u. a. : „Zwecks Wieder-herstellung demokratischer Rechtspflege werden die Nazi - Gesetze aufgehoben, die die Basis für das Hitlerregime schufen oder eine Diskrimi-nierung auf Grund der Rasse, der Religion oder der politischen Gesinnung darstellen…

Die Schuldigen, die diesen Befehl nicht befolgen, werden zur strengsten strafrechtlichen Verantwortung gezogen“. Am 18. 9. informierte der Landespräsident alle Oberbürgermeister der Stadtkreise und die Landräte darüber dass die Kennkarten des Deutschen Reiches eingezogen und neue Ausweise für Thüringen ausgestellt werden.

Am 20. 9. werden in Langenorla zur Vorbereitung der Bodenreform vorgeschlagen: Bürgermeister Pelz, Wendelin Müller, Gustav Schweinitz, Robert Geinitz, Ludwig Bauer (ehemals Schweizer im Rittergut) Traugott Meisel und Otto Becher. Am selben Tag erhält Bürgermeister Pelz ein Schreiben, in dem es heißt: “Die Unterzeichneten bitten darum, der Gemeindeversammlung am 23.9. nachfolgenden Antrag der Gutsarbeiter Langenorla zu unterbreiten und zur Entscheidung vorzulegen: Die unterzeichneten Gutsarbeiter beantragen, das Rittergut Langenorla nicht auf-zuteilen. Das Gut hat bisher vorbildlich für seine Arbeiter gesorgt und das Verhältnis zu unserem Gutsbesitzer ist das denkbar beste. Er gehört nicht zu den Kriegshetzern. Nach seinen Aussagen und unserem Wissen ist er auch nicht Mitglied der NSDAP gewesen. Nach seinen Äußerungen und Handlungen war er vielmehr ein Gegner der Partei. Das Gut hat bisher vorbildlich gewirtschaftet. Wir glauben nicht, dass bei einer Aufteilung dieses Gutes soviel für die Gesamternährung herausgewirtschaftet werden kann wie bisher. Ist es nach dem Gesetz nicht möglich, das Gesamtgut von der Aufteilung auszunehmen, so fordern wir, dass zumindest ein lebensfähiges Restgut von 100 ha unserem bisherigen Gutsherren von Raven und seiner Familie verbleibt. Nach unserem Wissen ist auch anderwärts den Gutsbesitzern ein Restgut zugebilligt worden.

Laut Protokollbuch Langenorla wurde das Schreiben nicht bekannt gegeben!

Am 22. 9. wurde auch in Langendembach ein Ausschuss gegründet, der die Bodenreform bearbeiten soll. Seien Mitglieder: Fritz Bauer, Franz Kessler, Bernhard Seidel, Max Blumenstein, Arno Gerber und Arno Eismann.

 

Am 25.9. in der „Thüringer Volkszeitung“ erschienen:

„Die Schuld Der kleinen Hitler“

 

Am 22. 9. heißt es in der „Thüringer Volkszeitung“ : Es wird Ernst gemacht mit der Bodenreform!

Am Dienstag, dem 25.9. wird in der „Thüringer Volkszeitung“

die Lebensmittelversorgung des Landkreises Saalfeld für den

80. Zuteilungsraum vom 17.9. bis zum 30.9. 1945 festgelegt (für 2 Wochen):

Fleisch

Erwachsene E 1-3, 7-10 je 25 g

Jugendliche J 1-3, 7-10 je 25 g

Kinder K 1-9 7- 8 je 25 g

Schwerarbeiter S 501-503 511-513 je 25 g

Fett

Erwachsene E 25,26 je 37,5 g

Jugendliche J 25, 26 je 37,5 g

Kinder K 25, 26 je 37,5 g

Schwerarbeiter S 505- 515 je 20, g

Brot

Erwachsene E 55,56 je 500 g

E 49, 50 je 250 g

Jugendliche J 49, 50, 55- 56 je 500 g

Kinder K 49, 50, 55-56 je 250 g

Schwerarbeiter S 500-510, 519- 520 je 250 g

S 507, 508, 517, 518 je 25 g

Nährmittel

Erwachsene E 37 je 125 g

E 36, 38, 39 je 12,5 g

Jugendliche J 37 je 125 g

J 38, 39 je 12,5 g

Kinder K 37 je 125 g

K 38, 39 je 12,5 g

Zucker und Marmelade

Normalverbraucher E 31, K 31 je 375 g Marmelade

oder je 187,5 g Zucker

J 31 500 g Marmelade

oder 250 g Zucker

 

Die „Thüringer Volkszeitung“ verkündet am 29. 9 1945:

„Ab 1. Oktober geht’ wieder zur Schule“.

„Willenskundgebung: Die versammelten landarmen Bauern und Landarbeiter aus dem über 20 Gemeinden zählenden Kreis Neustadt /Orla, Kreis Gera, begrüßen lebhaft das Gesetz der Bodenreform des Landes Thüringen vom 10. 9. 1945. Endlich geht eine alte Forderung der werktätigen Bauern in Erfüllung, für die schon 1525 der Führer der Thüringer Bauern, Thomas Müntzer, unter Einsatz seines Lebens und dem vieler anderer Bauernführer und landarmer Bauern gekämpft hat.“

Die Kirchenchronik vermerkt: weitreichende Veränderungen für Langenorla erwirkten Gesetze und Verordnungen zur Bodenreform. Wegen seines Waldbesitzes kam nur Baumeister Reißig in Frage, und ganz wichtig, das Rittergut, dessen Eigentümer, Franz Krafft von Raven (-Beust) und dessen Ehefrau Heilwig von Dittfurt. Sie hatten ihren Hauptsitz in der Altmark und kamen nur selten nach Langenorla. Zuerst wurden die Waldungen des Gutes, besonders durch Gerbert, an einzelne Besitzer aufgeteilt. Aus Dankbarkeit wurden oder mussten sie Genossen werden. So bekam der Ort über Nacht ein anderes politisches Gesicht. Die Waldungen wurden von den neuen Herren arg gelichtet. Viele Holzverkäufe wurden getätigt. Angepflanzt wurde wenig. Bald aber wurde der Wald unterstaatliche Kontrolle und Auflagen gestellt. Zu spät für die seltenen, alten Bäume am Schloss. Als auch die Äcker und Wiesen zur Aufteilung kommen sollten, half ich, Pfarrer Jäger, ein Gesuch an Kreis und Land aufzustellen, das Rittergut wegen seiner besonderen Lage (Würzhöhe), nicht an Neubauern aufzuteilen, sondern als Staatsgut zu belassen. Ohne Erfolg. Landwirte, Nichtlandwirte, Einheimische und andere erhielten Neuland, meist ohne Gespann uns Stallungen und ohne finanzielle Grundlage.

Die „Thüringer Volkszeitung“ vom 17. Oktober 1945 vermeldet:

„Landrat Kissauer, Kreis Saalfeld, und Bürgermeister Bochert, Pößneck, sprachen in der überfüllten Kundgebung - 76 Hektar wurden enteignet, 8 Neubauerstellen wurden geschaffen, weitere 45 Kleinbauern wurden zur Aufrundung ihres Besitzes mit Land bedacht.“ Weiter heißt es: „ Am Sonntag, dem 14. Oktober, fand in Langenorla die feierliche Übergabe des Rittergutes an die landarmen Kleinbauern und Ansiedler statt. Das Dorf hatte aus diesem Anlass geflaggt. Fast jedes Haus zeigte die rote Fahne. Auch auf dem Schloss hing, wohl zum ersten Male, solange das Schloss steht, die rote Fahne des Volkes.

Im Ahnensaal waren Transparente mit Parolen der neuen Zeit aufgehängt, außer dem bunten Herbstlaub waren die Wände mit den Bildern von Karl Marx und Friedrich Engels geziert. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt…. Die Vertreter der Kreiskommission und die Vertreter der Gemeinden Kleindembach, Langendembach und Freienorla waren anwesend. Dann brachte der Gesangverein (Langenorla) das Lied „ Alle Völker wollen Frieden“ zum Vortrag…..Darauf wurden die Namen der Bauern und Kleinsiedler verlesen. die einstimmig von der Gemeinde in ihre Reihen aufgenommen wurden. Dann vereidigte der Landrat jeden einzelnen Neubauern, das Land zu bebauen und so zu bewirtschaften, dass die Volksernährung in Zukunft gesichert ist. Die Kleinbauern bestätigten mit ihrem Ja, das Land bis zum Letzten zu bebauen und herauszuholen, was möglich ist. Dann wurde dem Bürgermeister von Pößneck von der Antifa- Jugend von Langenorla eine Obstspende übergeben und damit zum Ausdruck gebracht, dass die Jugend schon jetzt anfangen will, die Brücke zwischen Stadt und Land zu verstärken. Genosse Bochert dankte der Jugend von Langenorla…..Zum Schluss sprach Herr Meisel, Mitglied des Dorf- und Bauernkomitees, und versprach, dass alles getan würde, um den Erwartungen, die der Landrat und die Stadtbevölkerung in sie setzen, restlos erfüllt wird. Mit dem Lied „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ schloss die ein- drucksvolle Feier. Anschließend kam dann im Gasthof die Freude zu ihrem Recht. Es wurde getanzt und der Bürgermeister von Pößneck weilte noch einige Zeit unter den Fröhlichen.“

2.11. 1945. Gemeinderatssitzung in Langendembach:

„Wohnungen für Flüchtlinge müssen noch mehr gestellt werden, da noch zirka 50 Personen kommen sollen.“

16.11.1945: „Nochmals zur Anonymität.

Schon mehrmals haben wir in unserer Zeitung auf diejenigen hingewiesen, denen die 12 Jahre nazistisches Erleben derart in die Knochen gefahren ist, dass sie heute noch nicht wagen, ihre Ansicht frei und offen zu vertreten. Täglich kommen Briefe ohne Unterschrift an, und zwar nicht nur in der Redaktion, sondern auch im gleichen Maße in den Partei- und Gewerkschaftsräumen, vielleicht auch in den Amtszimmern der Stadtverwal-tung…..

„Thüringer Volkszeitung“ am 17. November 1945:

„Doppelt gibt, wer schnell gibt. Langenorla. Kaum waren in vergangener Woche Ostflüchtlinge ins Dorf gekommen, erließen einheimische antifaschistische Frauen einen Aufruf an die Einwohner, angesichts der großen Not unter den Ostflüchtlingen alle entbehrlichen Wäsche- und Klei-dungsstücke, Wollsachen und Schuhe, Betten u. a. abzugeben. Die antifaschistische Jugend, vereint mit den Schulkindern, holte am vergangenen Sonntag die in den Häusern bereitgelegten Sachen für die eingeleitete Hilfs- aktion ab. Aus 68 Haushalten wurden der Sammlung zugeführt:

158 Wäsche- und Kleidungsstücke für Kinder, darunter 30 Hemdchen, 20 Jübchen, 10 Unterröcke, 8 Wollkleider, 11 Jäckchen 9 Paar Strümpfe,17 Schürzen, 4 Mäntel,

72 solche Stücke für Frauen, darunter 11 Hemden, 7 Kleider, 3 wollene Kleider, 5 Jacken, 1 Mantel,

41 solche Stücke für Männer, darunter 16 Hemden, 8 Hosen, 7 Jacken, 4 Mäntel,

46 sonstige Wäschestücke, darunter 6 Bettbezüge, 14 Kopfkissenbezüge, 16 Handtücher, 4 Wischtücher,

47 Paar Schuhe (Haus-, Straßen- und Holzschuhe), davon 31 Paar für Kinder und Jugendliche, 11 Paar für Frauen und 5 Paar für Männer.

Ausbesserungsbedürftige Sachen werden in der gegründeten Nähstube hergerichtet, in der Frauen auch Änderungen an Wäsche- und Kleidungsstücken vornehmen können, um sie passend zu machen. Fachleute übernehmen die Instandsetzung schadhafter Schuhe. Die Kosten werden aus eingegangenen Geldspenden bestritten. „

Gemeindeversammlung am 17.11. in Langendembach:

„Thüringen in Not. Frau Felsch soll sich um die Sammelaktion und das Nähen kümmern. Auch alle übrigen Mitglieder müssen beim sammeln helfen.“

Gemeindeversammlung am 17. 11. 1945 in Kleindembach:1945:

„2. Betr. des Obergeschosses des Köhler’chen Hauses wird besprochen : um Flick- und Teilarbeiten zu vermeiden, soll gründliche Herstellung des oberen Stockwerkes bewirkt werden. Darum wird beschlossen, einen neuen Anschlag vom Maurermeister Sänger anzufordern.“

Gemeinderatssitzung am 20.11. 1945 in Langenorla:

„Eingehend werden die Maßnahmen besprochen, die infolge der Verhaftung des früheren Bürgermeisters Fritz Geinitz und Familie zu ergreifen sind.“

„Thüringer Volkszeitung“, Sonnabend, den 24. November 1945

„Aus den Landgemeinden -

Öffentliche Gemeinderatssitzung in Kleindembach

Eine öffentliche Gemeinderatssitzung fand am Sonnabend in „Eberhardts Gasthaus“ statt. Nach Eröffnung durch den Bürgermeister (Ernst Förster) erläuterte Gen. Zeltinger die Notwendigkeit, die Grundsteuer der Gruppen A und B ab 1. Oktober 1945 zu erhöhen, und zwar A von 90 auf 120 %, B von 150 auf 250 %. Das sind die vom Landrat festgelegten Sätze. Herr Berg betonte, dass die bisherigen, wie auch die zukünftigen Sätze den Steuerzahler zu B mehr belasten als den der Gruppe A, zumal schon bei der Festsetzung des Einheitswertes die Gruppe A im Vorteil ist. Die vorgelegten Sätze werden einstimmig angenommen.

Weiter soll das Obergeschoss des Köhler’chen Hauses, bisher von Frau Ida Schulze bewohnt, durch Ausbesserungsarbeiten wieder wohnbar gemacht werden. Um Flickarbeit zu vermeiden, soll ein neuer Kostenanschlag vom Maurermeister Sänger angefordert werden.

Die Bildung eines Evakuierten- und Umsiedlerausschusses soll bei der am Mittwoch stattfindenden öffentlichen Gemeindeversammlung erfolgen. In der gleichen Versammlung soll ein Aktionsausschuss für die „Thüringen- Aktion gegen Not“ gebildet werden. Der Bürgermeister weist auf die Beachtung der ausgehängten Polizeiverordnung zur Behebung der Wohnungsnot im Landkreis Saalfeld hin und erklärt die Notwendigkeit, dass bei Nichtbeachtung Strafen durch den Gemeinderat festgelegt werden. Dem Bürgermeister wird das Recht eingeräumt, Ordnungsstrafen bis zu 150.-RM zu verhängen.

Zum Schluss wird das Gesuch Herbert Schließers, eine Baracke außerhalb des gemeinen Bebauungsplanes zu errichten, nochmals abgelehnt.“

„Thüringer Volkszeitung“ vom 26. November 1945

„Öffentliche Gemeindeversammlung in Kleindembach.

In der am Bußtag stattgefundenen öffentlichen Gemeindeversammlung, an der auch viele Evakuierte teilgenommen haben, sprach Gen. Menzel aus Pößneck. Er gab einen Rückblick der siegreichen russischen Oktoberrevolution von 1917, und in Verbindung damit zeigte er auch die Fehler der deutschen Arbeiterschaft von 1918 auf. Er sagte: den Weg von 1918 dürfen wir nicht wieder gehen. Das deutsche Volk verstand es nicht, die Demokratie so zu formen und die Macht so zu entfalten, um zur wirklichen Freiheit zu gelangen. Wir alle müssen dafür sorgen, dass der Frieden der Welt und der Aufbau Deutschlands nie wieder gestört werden.

Weiter führte der Redner an, dass infolge Unterstützung der Ostumsiedler Wohnraumbeschaffung und Behebung des Brennstoffmangels besonders wichtig sind. Die Umsiedler sollen hier bei uns eine neue Heimat finden, und unser Wohnraumgesetz gibt uns eine Handhabe, alle Evakuierten unter zu bringen. In erster Linie werden wir die Nazis zwingen, gemäß der Gesetze engstens zusammen zu rücken, aber auch alle anderen werden in Zukunft noch Raum freimachen müssen, um die große Not zu lindern.

Es muss Bekleidung gesammelt werden, es muss eine Kinder- bzw. Schulspeisung schnellstens organisiert werden, es muss Brennholz beschafft werden.

Auch die Bodenreform sowie die Frauen- und Jugendfragen wurden eingehend behandelt.

Die Diskussion zeigte lebhafte Zustimmung der Versammlungsteilnehmer.

Anschließend wurde ein Ausschuss für die Ostumsiedler gebildet, der sofort für die laufende Aktion eingeschaltet wird. Ende der Woche soll noch eine Frauenversammlung in Kleindembach stattfinden und die Bildung eines Jugendausschusses vorgenommen werden.

Wir können nur dann eine Lösung der Aufgaben finden, wenn alle ernstlich mithelfen. So zeigt sich auch schon ein kleines , aber immerhin beachtliches Ergebnis. Der Einwohner W., ehemaliges NSDAP-Mitglied, ist auf dem Wege, sich zu rehabilitieren. Er hat sich bereit erklärt, 20 Paar Schuhe für Ostevakuierte unentgeltlich zu besohlen. Die Zuweisung der ärmsten Ostevakuierten erfolgt durch den Ausschuss der Evakuierten und den Bürgermeister der Gemeinde. Wir hoffen, dass in Zukunft sich alle Einwohner der Gemeinde an den kommenden Gemeindeversammlungen beteiligen.“

Der Herbst 1945 war für alle einfachen Menschen eine sehr schwere Zeit. Am schlimmsten war der Hunger. Kartoffeln stoppeln war fast unmöglich. Zuerst wurden die Felder von den Einzelbauern dermaßen gewissenhaft abgelesen, das kaum noch etwas zu finden war. Des Weiteren standen so viele Menschen am Feldrain und warteten auf die Freigabe, dass wenig Aussicht bestand, erfolgreich zu sein. Wir gingen deshalb nach Positz, auf den volkseigenen Feldern hofften wir auf eine bessere Ausbeute. Weit gefehlt. Erfolgreich war man nur, wenn man des Nachts stoppeln ging. Das war aber nicht ungefährlich, denn die Felder wurden bewacht. Ährenlesen verlief ebenso wenig erfolgreich. Ich versuchte es auch mit gerösteten Eicheln und Kastanien. Gemahlen und zu Suppe verarbeitet, sollten sie unseren Hunger stillen. Das Essen war ungenießbar, da furchtbar bitter. Zudelsuppe half vorübergehend und nur für kurze Zeit den Hunger zu stillen: 5 Kartoffel gerieben und in fünf Liter Wasser gerührt, mit Salz abgeschmeckt, waren schon etwas. Man sieht, auf ehrliche Art war dem Hunger von den einfachen Leuten nicht bei zu kommen, und so hungerten wir sehr, sehr lange Zeit. Dazu kam noch die Angst vor einem langen und harten Winter, denn Kohlen gab es keine. Man war auf das Sammeln des Leseholzes angewiesen. Der Wald sah damals aus, wie gefegt!

Zu diesen allgemeinen Sorgen und Problemen kamen in einigen Familien in unseren Gemeinden noch ganz schlimme persönliche familiäre Sorgen. So hatten die Alliierten gemeinsame Maßnahmen festgelegt, die die Internierung von Nationalsozialisten in Lager als eine Sicherheitsverwahrung vorsahen. In den westlichen Besatzungszonen waren es im wesentlichen amerikanische Anordnungen, nach denen man die Verhaftungen vornahm, in der Sowjetischen Besatzungszone war es der Befehl Nr. 00315 des Volkskommissars für innere Angelegenheiten der UdSSR, Lawrenti Berija, nach dem hier gehandelt wurde. Gemeinsam war in beiden Fällen, Sicherheit für die Besatzungsmächte zu schaffen, um eine Partisanenbewegung wie in der UDSSR nicht aufkommen zu lassen. So sah der Berija- Befehl vor, alle Personen fest zu nehmen, denen man antisowjetische Handlungen sowie Spionagearbeit für die Westmächte zur Last legte. Neben der Internierung wurden nationalsozialistische Amtsträger aus ihren Funktionen entlassen und durch politisch zuverlässige Kräfte ersetzt.

„In teilweiser Abänderung des Befehls des NKWD der UdSSR Nr. 0016 vom 11. Januar 1945 befehle ich:

1. Von den Frontbevollmächtigten des NKWD der UdSSR sind beim Vorrücken der Truppen der Roten Armee auf das vom Feind zu befreiende Territorium bei der Durchführung tschekistischer Maßnahmen zur Säuberung des Hinterlandes der kämpfenden Truppen der Roten Armee von feindlichen Elementen zu inhaftieren:

a) Spionage-, Diversions- und terroristische Agenturen der deutschen Geheindienste;

b) Angehörige aller Organisationen und Gruppen, die von der deutschen Führung und den Geheimdienstendes Gegners zu Diversionhandlu-gen im Hinterland der Roten Armee abgestellt werden.

c) Betreiber illegaler Sendestationen, Waffenlager und Druckereien, wobei die für feindliche Handlungen bestimmte materiell-technische Basis zu beschlagnahmen ist;

d) Aktive Mitglieder der nationalsozialistischen Partei

e) Führer der faschistischen Jugendorganisationen auf Gebiets-, Stadt- und Kreisebene;

f) Angehörige der Gestapo, des SD, und anderer deutscher Terrororgane

g) Leiter administrativer Organe auf Gebiets-, Stadt- und Kreisebene

h) sowie Zeitungs- und Zeitschriftenredakteure und Autoren

 

antisowjetischer Veröffentlichungen

2.Personen, die nachweislich terroristische und Diversionshandlungen begangen haben, sind entsprechend dem Befehl des NKWD der UdSSR Nr. 0061 vom 6. Februar 1945 an Ort und Stelle zu liquidieren.

3.Militärische und politische Führungs- und Mannschaftsdienstgrade der Armee des Feindes und der militärisch strukturierten Organisationen „Volkssturm“, „SS“, „SA“ sowie das Personal von Gefängnissen, Konzentrationslagern, Militärkommandanturen, Organen der Militär- staatsanwaltschaft und Gerichten sind behelfsmäßig in die Kriegsgefangenenlager des NKWD einzuweisen..

Damit Festgenommene an Ort und Stelle in Haft gehalten werden können, haben die Frontbevollmächtigten des NKWD der UdSSR die notwendigen Gefängnisse und Lager einzurichten.“

Dies sind Auszüge des Befehls Nr. 00315 von Lawrenti Berija, Volkskommissar des Inneren der UdSSR, über die teilweise Änderung des Befehls Nr. 0016 vom 11. Januar 1945, vom 18.4.1945.

Auf Grund dieser und anderer Befehle kam es auch in unseren Gemeinden zu Verhaftungen. Es genügte schon der leiseste Verdacht, und ein Mensch verschwand. In den meisten Fällen handelte es sich um Denunziationen. Verhaftet wurden Ortsgruppenführer, Bürgermeister und auch Jugendliche, denen man keine nazistische Verfehlung nachweisen konnte.

Der erste Bürger, der hier in unseren Gemeinden auf Grund dieser alliierten Gesetzgebung verhaftet wurde, war Lehrer Oskar Siegel aus Langenorla.Vom 3. Juni 1945 bis zum 28. Juni 1946 war er in Kornwarsheim Interniert. Anfang November wurde die ganze Familie von Fitz Geinitz verhaftet. Er als ehemaliger Bürgermeister konnte sein Getreidesoll nicht voll erfüllen. Das musste natürlich geahndet werden. Zuerst wurden sie im Bilkenkeller eingesperrt, anschließend nach Erfurt überstellt. Nach 14 Tagen kamen Frau und Sohn zurück, wenig später auch der Vater. Des Weiteren wurden in Langenorla auch noch Louis Gemeinhard inhaftiert. Er könnte Mitglied der NSDAP gewesen sein. Er war einige Jahre in Buchenwald, überlebte aber.

Ein weiteres Opfer der damaligen Zeit war der 19 jährige Hans- Martin Wuckelt. Er war ehemaliger Jungvolkführer, wurde bezichtigt, ein Wehrwolf zu sein und wurde in die „Hutschachtel“ in Saalfeld eingewiesen. Nach brutalsten Misshandlungen wurde er zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Auch in Kleindembach wurden Mitbürger von sowjetischer Seite inhaftiert, wobei auch von Denunziationen auszugehen ist. Zuerst wurde der ehemalige Ortsgruppenführer Ernst Henniger verhaftet und nach Buchenwald eingeliefert. Er hatte keinem Menschen im Ort etwas zu Leide getan. Er sah seine Heimat nicht wieder.

Hans Apelt, 17 oder 18 Jahre alt, war das nächste Opfer. Er war Evakuierter und wohnte mit seinen Eltern im Konsum. Sein Leidensweg begann in der „Hutschachtel“. Während des Krieges hatte er irgend ein Gewehr besessen. Bei Kriegsende zerschlug er es und warf es in den Bach. Nach seiner Verhaftung wurde er eines Tages hier vorgeführt. In Schuhen musste er bei grimmiger Kälte in den Bach steigen und die Reste des einstigen Gewehres suchen. Er fand sie. Wie es mit ihm weiter ging, ist unbekannt. Trotz erwiesener Unschuld kehrte auch er nicht zurück!

Das nächste Opfer war Ewald Hädrich. Er war etwa 19 Jahre alt. Von ihm behauptete man damals, er sei jeden Morgen vor Arbeitsbeginn kurz in die Orla gesprungen und habe anschließend einen Dauerlauf nach Schweinitz gemacht. Dann sei er zur Arbeit gefahren. Der Grund für seine Verhaftung sei eine Pistole gewesen, die er in der Brusttasche gehabt habe und die er einem Mädchen präsentierte, um anzugeben. Nach kurzem Aufenthalt in der „Hutschachtel“ muss er auf dem Weg in ein Gulag gewesen sein. Von ihm wurde ebenfalls nie wieder etwas gehört.

Harry Tröbs, seit etwa 1943 in Kleindembach bei Rankens Auguste, evakuiert wegen der Bombenangriffe auf Nordwestdeutschland, hatte als 15 jähriger am Berghang an der Massenmühle gezündelt. Er wurde inhaftiert und in die „Hutschachtel“ gebracht. Ihm wurde der Prozess gemacht und er wurde zu 15 Jahren verurteilt. Nach meinen Informationen wurde er vorzeitig entlassen. Allerdings ließ er sich hier bei uns in der Sowjetischen Besatzungszone nicht wieder sehen.

Die nächsten Opfer waren Gerhard Berg (13 Jahre ), Karl Müller (13 Jahre) und Kurt Wendland (18 Jahre alt). Alles junge Leute, die gewiss nicht eine Gefahr für die Besatzungstruppen darstellten. Sie wurden alle drei in der „Hutschachtel“ eingeliefert. Interessant wäre es, zu erfahren, wer sie denunziert hat!

Nun ist es so, dass Buchenwald eine Stätte ist, deren Namen schon mit Not und Elend in Verbindung gebracht wird. Jeder normale Mensch kann sich ausmalen, wie es Gefangenen dort erging. Anders verhält es sich mit der „Hutschachtel“. In der Bevölkerung Saalfelds ist dieser Name die Bezeichnung für das städtische Amtsgefängnis, da dieses die Form einer Hutschachtel hat. Am 18. Juni 1857 kaufte das Herzogtum Meiningen einen Teil des Saalfelder Rathaushofes und des benachbarten Gernhardtschen Hauses für „… eine zu errichtende Fronfeste…“. Vor Beginn der Bauarbeiten mussten noch die ehemaligen Stallungen des Rathauses, das städtische Vorratshaus und das Nachbarhaus abgebrochen werden. Parallel zum Gefängnisbau wurde der Gefängnishof mit seinen Umfriedungen angelegt. Das wie ein Turm konstruierte Gebäude wurde im Saalfelder Kreisblatt vom 30.1.1932 wie folgt beschrieben:“ Durch einen kleinen Hausflur gelangt man in den Lichthof (22 x 7 m), der einen Überblick über sämtliche Zelleneingänge und sonstigen Räume gewährt. 22 Zellen verteilt auf drei Stockwerke. Eine eiserne Treppe führt zu den einzelnen Stockwerken. Die Belegung der Hutschachtel lag damals durchschnittlich bei 10 Gefangenen. Im April 1945 werden auf Grund der Luftangriffe auf Saalfeld 22 von insgesamt 43 Gefangenen beurlaubt. 1945 geht das Gefängnis in die russische Militärverwaltung über und ist bis 1950 NKWD- Gefängnis und Untersuchungshaftanstalt für politische Gefangene. Was wissen wir vom Verlauf des Lebens hinter den Mauern der Hutschachtel? Die ehemaligen Inhaftierten schweigen über ihre Leidenszeit. Sie mussten unterschreiben, nichts über die Haftzeit zu erzählen. Außerdem sind sie noch heute, nach über 50 Jahren nach wie vor stigmatisiert.

Rudolf Butters aus Pößneck, geboren 1929, stellte einen detaillierten Bericht über die Verhältnisse in der Saalfelder Hutschachtel vor. Er gab mir die Erlaubnis, seinen Bericht für unsere Heimathefte zu nutzen. In seinem Bericht äußert er sich vor allem über die Haftbedingungen, Verhöre und Verurteilungen, beschreibt aber auch einige Vorkommnisse, die helfen, einen Eindruck von dem zu erlangen, was hinter den Gefängnismauern geschah

Er berichtet von Schuldbekenntnissen, die durch Folter und Drohungen gegenüber den Inhaftierten entstanden und Falschaussagen sowie auch Geständnisse mit sich brachten. Die Verhöre wurden vorwiegend des Nachts mit verschiedensten brutalen und entwürdigenden Methoden und Strafen durchgeführt. So wurden Protokolle erzwungen, die dann dem Vernommenen in russischer Schrift vorgelegt wurden, die er nicht lesen konnte. Er musste sich auf das Verlassen, was ihm der Dolmetscher vorlas, unterschrieb also praktisch blind. Im Allgemeinen stellten frei erfundene Denunziationen den einzigen Verhaftungsgrund dar. Dem Denunzianten wurde mehr geglaubt als dem Verhafteten oder Entlastungszeugen, die man oft gar nicht erst anhörte.

In seinen Aufzeichnungen schreibt Rudolf Butters auch die Verhältnisse, die in der Hutschachtel herrschten. Bei der Einlieferung in das Gefängnis wurden dem Inhaftierten alle persönlichen Gegenstände vom Wachpersonal abgenommen, dazu auch Gürtel, Hosenträger, Schnürsenkel und Uhren.

Die Ausstattung der Einzelzellen bestand aus einer Holzpritsche mit Strohsack, einem Schemel, einem Gestell mit emaillierten Waschschüssel, einem Wasserkrug, einem Abortkübel mit Holzbrille und Deckel sowie einem gusseisernen Ofen der von außen durch ein, zwischen zwei Zellen angebrachtes „Ofenloch“ beheizt werden konnte. Im obersten Geschoss gab es eine Zelle mit eisernen Feldbetten und Strohsäcken für vier Personen. Sonst war die Ausstattung wie in den Einzelzellen.

Im Erdgeschoss soll sich früher noch eine Betstube befunden haben, die als einzige Zelle keine Doppeltür aufwies. In dieser Tür befanden sich knapp über dem Erdboden einige runde Öffnungen, durch die man, auf dem Boden liegend, Vorgänge im Innenhof des Gefängnisses beobachten konnte. Außerdem befanden sich im Erdgeschoss die Wachstube des Gefängnispersonals, eine Badestube mit äußerst primitiver Einrichtung und ein fensterloser Raum mit einem Luftschacht zum Dach, der als Karzer verwendet wurde. Im Innenhof des Gebäudes gab es eine Stahltreppe zum Rundlauf des ersten Obergeschosses und eine weitere Treppe in den Keller.

Von mehreren Personen wurde bestätigt, dass die ursprünglichen Einzelzellen in der Regel mit 3 - 4 Männern oder mit 2 - 5 Frauen belegt waren. Das bedeutet, dass viele auf dem Fußboden schlafen mussten, da jeweils nur eine Holzpritsche vorhanden war, und das, obwohl jeder im günstigsten Falle nur einen Mantel und eine Decke besaß. Wer aber im Spätherbst 1945 verhaftet worden war, besaß nicht einmal das.

Die miesen hygienischen Zustände verschlechterten sich zusätzlich, da es weder Seife noch Klosettpapier gab. Die Abortkübel wurden einmal täglich geleert. Zudem wurde im Winter nicht immer geheizt.

Vor den Fenstern waren Holzblenden angebracht worden, so dass man nur noch ein Stück Himmel sehen konnte. Die Strohsäcke wurden bald entfernt und die Schemel nach missglückten Fluchtversuchen aus den Zellen genommen. Über die Anzahl der Inhaftierten des Jahres 1945 liegen mir keine Aussagen vor, da die Betroffenen, die mir bekannt sind, auch heute noch keine Aussagen treffen. Von Januar bis Juni 1946 waren 13 Männer inhaftiert. Darunter ein Major, ein Luftwaffenfeldwebel, ein Bankdirektor, ein Zahnarzt, ein Hotelier, ein Beamter, ein Fabrikant, ein Kaufmann, ein Maurerpolier und ein Schuhmacher. Auch waren etwa 50 Jungen im Alter zwischen dreizehn und zwanzig Jahren inhaftiert, die noch zur Schule gingen oder in einer Lehre waren. Zudem war das Gefängnis noch mit zwölf Frauen und Mädchen belegt, die zwischen 17 und 23 Jahre alt waren und verschiedenste Ausbildungen und Berufe hatten. Zuletzt waren zwei weitere Frauen inhaftiert, die zwischen 42 und 63 Jahre alt waren. Eine von ihnen war Frauenschaftsleiterin.

Die Verpflegung wurde als „äußerst knapp“ empfunden. Sie bestand aus zwei dünnen Scheiben Brot, einer Kelle Wassersuppe, die nur wenige Graupen, so genannte Kälberzähne enthielt und einer Tasse Tee. Durch das beherzte Auftreten der Mutter eines Jungen beim Kommandanten, erlaubte dieser dann, dass die Angehörigen alle 14 Tage ein Paket mit Esswaren und Wäsche abgeben durften, auch durfte die Schmutzwäsche wieder mitgenommen werden, wenn sie kontrolliert worden war. Voraussetzung aber war, das man den Aufenthaltsort des Inhaftierten kannte!

Die Verhöre wurden mit Vorliebe nachts durchgeführt und das mehrere Nächte hintereinander. Die Strafen waren hart. Mehrere Jugendliche erhielten Strafen von 10 bis 15 Jahren Arbeitslager, ein Jugendlicher (Hans- Martin Wuckelt) wurde hingerichtet, andere entzogen sich durch Selbstmord der Hinrichtung. Auch unter den Männern gab es Verurteilungen zu Arbeitslager und zum Tode. So mancher Inhaftierte ertrug auch die nächtlichen Verhöre mit den Schlägen und Demütigungen nicht mehr und setzte seinem Leben selbst ein Ende. Einem Jungen soll es aber gelungen sein, auf dem Rückweg vom Verhör durch die gerade offene Tür des Wirtschaftsgebäudes an der Johannisgasse zu flüchten. Beherzte Bürger versteckten ihn und brachten ihn anschließend aus der Stadt. Dabei achteten sie nicht auf ihre eigene Gefährdung!

Auch Familie Wuckelt aus Langenorla brachte ihrem Sohn Lebensmittel und Kleidung in die Hutschachtel. Auch nahmen sie die Schmutzwäsche wieder mit zurück. Erst sehr spät bemerkten sie, das Hans-Martin zu dem Gummi der Kniestrümpfe noch kleine Zettel eingeschoben hatte, um ihnen ein Lebenszeichen zu geben. Hier seine Kassiber:

„D. 6.2.1946

Meine Geliebten!

3 mal Sachen erhalten. Schickt Waschlappen, Seife, Kamm, Strümpfe und wartet im Rathaus auf alte Wäsche. Striezel und Brot oft schicken. Hunger! Weiß nicht ob ich Euch wieder sehe. Bleibt stark! Hoffentlich kommt Rolf zurück! Grüße und vielen Dank! Euer Jüngster.

d. 13. 2. 1946

Ihr Geliebten!

Dem 11. 2. Pudding, Semmeln, Brote, Plätzchen, Strümpfe und Taschentuch

erhalten. Vielen Dank! Schickt bald: Seife, Kamm, Waschlappen, Löffel, Hausschuhe. Habe diese Sachen eingebüßt. Viel Hunger!!! Schickt ganzen Striezel, viel gemachte Brote, dürre Zampe, kalte Klöße usw. Äußerlich unansehnlich, sonst gestohlen. Also viel Essen. Einfach! Immer etwas Wäsche mit und Strümpfe. Im Rathaus alte Wäsche warten, dann kommt Paket auch an. Keinen Zettel beilegen, zu gefährlich. Wenn Bruder zu Hause, Kreuz auf Hemd sticken. Mein Urteil ist hart und grausam. Hoffe auf Gott! Euer Jüngster.

21. 2. 1946

Am 18. 2. alles erhalten außer Striezel. Nr. 6 auch erhalten. Vielen Dank! Glücklich, dass Nachricht von Rolf da ist. Schickt Füßlinge und viel Essen. Striezel äußerlich unansehnlich. Sonst gestohlen. Zampe gut! Paket nur Decke erhalten. Wenn nicht bald Hilfe, dann zu spät. Vertraue auf unseren Herrgott! Viel Essen! Euer Jüngster.

25. 2. 1946

Ich werde nie entlassen. Bin nicht wegen H. J. Führer da. Viel schlimmer! Wenn man mich mal fortschafft, versuche ich es wie beim Ami. Bleibt gesund und tapfer! Versucht alles! Am besten beim G.P.U. Offizier.

Innige Grüße Euer Jüngster

25. 22. 1946

Ihr Lieben!

Am 21. 2. erhalten Wäsche, Brote, Salat, Stollen, Tätscher, Genuss! Tausend Dank! Nehmt alte Gefäße zu Salat und Pudding. Am 18. 2. keine Wäsche zurück. Schickt Montag und Donnerstag. Zampe, Striezel, Salat, Brote unansehnlich. Immer Hunger!

28. 2. 1946

Mir bekannte Jungen wurden mir als Zeugen gegenüber gestellt und sagten mir ins Gesicht falsch aus. Ich soll seit September Wehrwolfführer sein und Aufträge gegeben haben. (Partisanen!) Als ich abstritt hat man mich bis zum Wahnsinn gefoltert. Schließlich habe ich falsches Geständnis ablegen müssen und bin verurteilt worden. Hoffe auf unseren Herrgott.

28. 2. 1946

25. 2. alles restlos erhalten. Gebe Gott, dass ich es Euch mal danken kann. Handtuch zum Wechsel schicken. Bleibt gesund und tapfer. Ich bete für alle. Lebt wohl!“

 

Bedenken wir, das die Jungen, die falsch Zeugnis redeten, dazu auch unter Schlägen dazu gezwungen wurden. Es geschah nicht freiwillig!

Alles in allem war es eine schlimme Zeit! Jeder dachte nur an sich, jeder war bemüht, durch dieses Jammertal ohne größeren Schaden durchzukommen. ---Auch aus der Gemeinde Langendembach wurden Bürger nach Kriegsende inhaftiert. Es waren dies die ehemaligen NSDAP- Mitglieder Lehrer Plato, Albin Müller und Arno Hammerschmidt. Alle drei wurden nach Buchenwald eingeliefert. Die ersten beiden kamen nicht wieder zurück. Arno Hammerschmidt wurde nach 3 ½ Jahren gesundheitlich stark angeschlagen wieder entlassen.

Unter den Heimatvertriebenen in Langendembach war auch das Ehepaar Palme mit Mutter. Sie stammten wohl aus dem Sudetengau. Herr Palme setzte ein Schreiben an die Sowjetische Militärverwaltung in Berlin auf, in dem er um Rückführung in die Heimat bat. Dazu sammelte er auch Unterschriften. Wenig später wurde er von Soldaten der Roten Armee abgeholt. Er blieb für immer verschwunden. Seine Frau arbeitete noch lange mit den Pfarrern zusammen. Auch mit Pfarrer Lein.

Mit Riesenschritten näherte sich das Jahresende. Die erste Friedensweihnacht stand vor der Tür. Wie bemühten sich gute Menschen, den Kindern eine kleine Freude am Heiligen Abend zu bereiten. Holzspielzeug war ausgeschnitten worden für die Jungen, ganz einfache Puppen, ausgestopft mit Holzwolle, erfreuten Mädchen und lenkten sie für kurze Zeit von ihrem Elend ab. Hartpappe Bilderbücher für die Kleinsten und für alle einige wenige Fondant- Zuckerwaren bereiteten große Freude. In der damaligen zeit war man mit wenigem zufrieden! Ganz besonders hart war diese Zeit für die aus ihrer Heimat vertriebenen. Sie blickten besonders sorgenvoll auf das neue Jahr 1946. Was wird es wohl noch an Not und Entbehrungen bringen?

Rückblick und Ausblick

Hitler hatte im Auftrag des Monopolkapitals am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen losgeschlagen, um die Grenzen zu Gunsten Deutschlands zu verändern. Es ging um mehr Land, um Rohstoffe und um Arbeitssklaven. Der Schuss ging nach hinten los! Die Siegermächte bestimmten, wie die Grenzen verlaufen sollen. Und sie legten fest, dass zwischen Deutschland und der Sowjetunion Nationalstaaten ohne größere Minderheiten entstehen sollten. So wollte man die politische Instrumentalisierung von Minderheiten zur Unterstützung territorialer Forderungen für die Zukunft ausschließen. Besonders der Anteil der Deutschen in den Staaten Ostmitteleuropas sollte durch Zwangsumsiedlung drastisch reduziert werden. Nachdem schon Hitler aus dem Baltikum, aus Wolhynien, Galizien, der Bukowina und Besarabien deutschsprachige Bevölkerungsgruppen „heim ins Reich“ geholt hatte und damit jahrhundertealte Siedlungstraditionen und gewachsene Kulturen vernichtet hatte, sollte nach dem Willen der Siegermächte auch in Polen, der Tschechoslowakei und dem an Russland gefallenen Teil Ostpreußens kein Dsehe ich einen guten, ja, einen wichtigen gund, eutscher mehr zurückbleiben. Diese Politik der gewaltsamen ethnischen „Entmischung“ erfasste aber auch Ungarn, Jugoslawien und Rumänien. Schließlich war die Aussiedlung der Deutschen auch mit der Konfiszierung ihres gesamten Vermögens verbunden. Auf diese Weise gewannen die neuen Regierungen zwischen Warschau und Bukarest enorme Werte. Sie konnten im Zuge einer Bodenreform Land an Bauern verteilen, ohne dafür eigene Bevölkerungsschichten zu enteignen. Auch ließen sich sozialistische Staatsbetriebe in großen Stil gründen. So erleichterte die Vertreibung der Deutschen die sozialistische Umgestaltung in diesen Ländern. Allein aus Polen wurden 3,5 bis 4 Millionen Deutsche ausgesiedelt. Etwa die gleiche Anzahl war aber auch schon ab Januar 1945, als die Ostfront zusammenbrach, von den deutschen Behörden, allerdings viel zu spät, evakuiert worden, beziehungsweise freiwillig vor der Roten Armee geflohen. Die Zustände auf den Flüchtlingstrecks waren zu allen Zeiten katastrophal! Da die nötige Transportkapazität fehlte, das Schienennetz durch Kriegseinwirkung teils unterbrochen war, waren die Waggons überfüllt die Verpflegung mehr als dürftig und die hygienischen Verhältnisse äußerst mangelhaft. Wochen-, ja Monate lang waren die armen Menschen unterwegs und dann in der neuen Heimat nur unwillig aufgenommen, weil man sich etwas einschränken musste.

Ja, der Krieg hat viel Not und Elend auch in unser schönes Orlatal gebracht.

 

       
(Kopie: Archiv D.Seiffert, Schweinitz)
Fahrräder waren im Jahr 1945 nach dem Ende des 2. Weltkrieges Mangelware. Der Diebstahl dieser war daher groß. Deshalb wurden an die Fahrradbesitzer Fahrradkarten ausgegeben, auf denen auch die Fabriknummer des Fahrrades angegeben war, damit gestohlene Fahrräder durch die Polizei eher ausfindig gemacht werden kommte.
 

 

 

Heute, 65 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht sehe ich einen guten Grund, sich zu erinnern. Es wäre sehr nötig, Lehren zu ziehen! Ich stand damals im 12. Lebensjahr. Am Nachhaltigsten erinnere ich mich an den furchtbaren Hunger, den ich über eine sehr lange Zeit erleiden musste. Diese Zeit hat mich nachhaltig geprägt. Dadurch wurden viele Ereignisse der damaligen Zeit nicht so tiefgründig wahrgenommen und im Gehirn gespeichert. Deshalb fiel es mir auch schwerer, als zuerst gedacht, die Abfolge der damaligen Ereignisse erneut aufzurufen und wie auf einer Perlenkette schriftlich aufzureihen. Hilfe erhielt ich von Herrn Dieter Seiffert aus Schweinitz, der mir Material aus seinem umfangreichen Archiv zu Verfügung stellte. Frau Mohr vom Stadtarchiv Pößneck ermöglichte mir einen Einblick in die verbliebenen Zeitungen des Jahrgangs 1945. Herr Rolf Wuckelt stellte mir Material zur „Hutschachtel“ zur Verfügung und Herr Pfarrer Fuss gewährte mir Einblick in die Kirchenchronik. Hinweise erhielt ich auch von Herrn Karl Partschefeld aus dem Mariengrund sowie von Frau Blumenstein und Frau Zschächner aus Langenorla. Ihnen allen danke ich ganz herzlich!

Diejenigen, die Krieg und Nachkriegszeit überlebt hatten, hatten sich fest vorgenommen: „Nie wieder Faschismus und Krieg!“ Dafür haben wir auch hier im Orlatal gelebt, gearbeitet und gehandelt. Deshalb ist es mir unverständlich, dass heute schon wieder deutsche Soldaten von ihrem Staat in fremde Länder als Besatzungstruppen geschickt werden, dass junge Deutsche in fremden Landen, wo man sie gar nicht haben will, erschossen werden und das deutsche Soldaten schon wieder töten. Wofür das alles? Wer hat wohl den Nutzen davon? Der kleine Mann doch wohl nicht!

Wir vernünftig denkenden Bürger haben nach wie vor auf unsere Fahnen geschrieben, einzutreten für den Frieden der Welt. Deshalb feiern wir hier im Orlatal an dem für die Welt so schicksalhaften 8. Mai das Fest der Völkerverständigung!